Kasuf Falkenauge
Prolog
Kasuf wedelte kräftig vor seinem Gesicht herum, um sich etwas Sicht zu verschaffen. Die Rauchschwaden der Pfeifen im Gasthaus waren heute wirklich dicht. Er entdeckte einen freien Tisch und setzte sich. Etwas nervös versicherte er sich, dass er auch ja die Würfel und das Amulett bei sich hatte. Er hatte nichts vergessen. Dann brauchte es nur noch seinen Kunden.
Einige Minuten wartete er, dann kam die Unruhe zurück. Er nestelte an den Knöpfen seiner Jacke, zupfte an seinem Stirnband, rückte die Augenklappe zurecht. Er seufzte. Jetzt hieß es warten…
Steckbrief
Name: Kasuf
Beiname: Falkenauge
Geschlecht: Männlich
Rasse: Mensch, Nomade
Geboren: 12. Tag des 7. Monats im Jahre 19 der 4. Epoche (Alter: 30)
Größe: ca. 179 cm
Haarfarbe: Braun
Augenfarbe: Grün
Beruf: Juwelier
Stellung: Ratsmitglied
Wohnort: Tal‘dur
Herkunft: Dünenmeer
Glaube: Poheran, Der Weisende
Familie
Vater: † Marik
Mutter: Ana
Geschwister: † Bruder, Allan
Aussehen
Kasuf ist ein für die Nomaden durchschnittlich großer, junger Mann. Er hat von der Wüstensonne gebräunte Haut, mittellanges, braunes Haar und einen Vollbart. Er legt durchaus Wert auf sein Äußeres und pflegt gerade seine Haare besonders, die er in aller Regel mit einem Stirnband zurückbindet. Für gewöhnlich trägt er eine rote Jacke mit dunklen Schulterpolstern und einem türkisem Hemd darunter. Die dunkle Hose stopft er sich in die feinen braunen Stiefel, die er stets vom Sand der Wüste befreit, wenn er aus ihnen hinaussteigt. Wer ihm jedoch gegenübersteht, dem wird nicht zuerst sein gepflegtes Auftreten oder seine saubere Kleidung auffallen. Nein, man würde wohl zuerst die Augenklappe bemerken, die sein linkes Auge verdeckt. Oder besser gesagt: Seine linke Augenhöhle. In jungen Jahren verlor Kasuf sein Auge an einen besonders hinterlistigen und nicht im geringsten provozierten Falken. Daher auch sein Beiname „Falkenauge“.
Charakter
Kasuf würde sich selbst als rationalen Menschen bezeichnen. Er schätzt die Sonne und kennt ihre Gefahren. Er schätzt die Wüste und kennt ihre Gefahren. Er schätzt das Wasser und verehrt Poheran. Denn wie ihm sein Vater lehrte: Wer das Wasser in der Wüste nicht zu schätzen weiß, ist ein Narr. Und den Gott des Wassers auf seiner Seite zu wissen, ist gerade zwischen den Sanden ein beruhigendes Gefühl.
Zumeist bleibt er gelassen und sorgt dafür, dass er gar nicht erst in brenzlige Situationen kommt. Und falls es entgegen des Plans doch einmal dazu kommen sollte, beweist er Geschick und Raffinesse und manövriert sich souverän außer Schussweite. Für gewöhnlich verschafft ihm sein gesundes Misstrauen und seine Vorsicht ein paar Meilen Abstand zur nächsten Gefahr. Nicht selten behindert ihn dieses Misstrauen aber auch bei Geschäften.
Er liebt Süßgebäck, meidet Alkohol so gut er kann und raucht gerne Wasserpfeife.
Auch wenn er die Wüste nicht fürchtet, hat er gehörigen Respekt vor ihr. Gerade vor den Sandstürmen, die ihn in mancher Nacht den Schlaf rauben.
Er ist ein aufstrebender Juwelier, der bereits jetzt einen beachtlichen Wohlstand erwirtschaftet hat. Ausreichend, um sich in den Stadtrat einzukaufen. An besonders sonnigen Tagen bildet er sich darauf etwas mehr ein als er sollte.
Er ist etwas eitel und reizbar. Wenngleich er seinen Zorn nicht mit Schlägen, sondern mit einer Salve von Flüchen und Beleidigungen Luft macht. – Denn als Kämpfer taugt er wirklich nicht.
Abseits dessen bereitet sein fehlendes Auge teils große Probleme. Gerade im Abschätzen von Entfernungen fällt ihm schwer. Ohne seine Lupe könnte er seine Arbeit gar nicht ausführen.
Geschichte
Die Luft im Gasthaus war kühl, kein Vergleich zu der drückenden Hitze der Wüste. Dicke Rauchschwaden der Pfeifen hingen in der Luft und der Mann musste ein paar Mal vor seinem Gesicht herumwedeln, ehe er etwas Klares erkennen konnte. Da saß er, allein an einem leeren Tisch. Wartend. Der Neuankömmling setzte sein freundlichstes Händlerlächeln auf und setzte sich zu ihm.
„Na endlich“, sagte der Nomade am Tisch. „Dachte schon, ihr kommt nicht mehr.“
„Tse“, der Andere grinste weiß. „Als ob ich mir so ein schönes Stück durch die Lappen gehen lasse“, er begann mit den Fingern an der Unterseite der Tischplatte zu trommeln. Die Melodie von Nordwind. „Wie viel?“
Nun lächelte der Nomade seinerseits. Er griff in die Tasche seiner roten Jacke und zog zwei Würfel heraus. Klassische Achtseitige. Wie sie in Tal’dur verwendet wurden, um den letztendlichen Preis eines Geschäfts festzusetzen. Er warf sie in ein Glas, schüttelte es und knallte es kopfüber auf den Tisch. Dann zog er gespannt das Glas beiseite. Sein Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen.
„‘dammt“, grummelte der Andere und blickte verdrießlich drein. Er zählte 4000 Dukaten ab und schob sie seinem Gegenüber rüber.
„Vielleicht habt ihr beim nächsten Mal mehr Glück“, grinste der Nomade und schob das Amulett seinem Kunden entgegen. Es war gute Arbeit. Ein sauber geschliffener, makelloser Rubin in einer Silberfassung mit Kette. 4000 Dukaten war es in jedem Fall wert.
„Mit Glück hat das doch nichts zu tun“, er zeigte ein müdes Lächeln. Er war älter, als es zunächst den Anschein machte.
„Ihr seid doch ein Gefallener, nicht wahr? Was macht ein Fahlländer so weit im Süden?“, wechselte der Nomade rasch das Thema.
„Zu ersterem: Ja, bedauerlicherweise. Zu letzterem: Handel treiben, wie alle.“ Er deutete auf die Augenklappe des Nomaden. „Und ein bisschen die Welt sehen. Ich wette, ich habe mehr gesehen als ihr“, grinsend zog er ein Augenlid herunter. „Man nennt euch doch Falkenauge. Woher eigentlich der Name? Habt ihr euer Auge an einen Falken gegeben, damit ihr die Welt von oben sehen könnt? – Bitte nicht, solche Geschichten habe ich schon zuhauf gehört.“
Der Nomade kniff die Augen zusammen. „Warum wollt ihr das wissen?“
Sein Gegenüber hob beschwichtigend die Hände. „Ich bin Chronist. Ein generelles Interesse an Geschichten ist da nur von Vorteil.“
Das schien den Nomaden zu besänftigen. Er seufzte. „Wollt ihr die lange oder die kurze Fassung?“
„Habt ihr mal nach draußen geschaut? Jetzt brennt die Sonne noch und in ein paar Minuten fressen einem die Sandkörner die Haut von den Knochen. … Die lange Fassung.“
„Also erst einmal: Mein Name ist Kasuf. Kasuf Falkenauge, wenn ihr bestimmte Leute fragt. Und Stadtrat Kasuf, wenn nicht. Ich bin ein Kind des Dünenmeeres, geboren am Zwölften Tag des siebten Monats, Jahr Neunzehn. Also bin ich heute dreißig Jahre alt.
Einen Großteil meiner Kindheit habe ich in einer Karawane verbracht. Wir zogen von Ort zu Ort und ‚Heimat‘ waren für mich Menschen und Wagen, anstelle von Häusern und Mauern. Mein Vater war der Anführer der Karawane. Sie bestand insgesamt aus vier Familien. Zusammen zählten wir Neunzehn Nomaden. Ich hatte einen Bruder, Allan. Er war ein Raufbold und tobte umher wie ein kleiner Sandsturm im Glas. Ich war Elf als unsere Gemeinschaft zerbrach. Mein Vater war fest überzeugt davon, unbedingt unseren Rastplatz zu verlassen und es noch am selben Tag bis Makjahzira zu schaffen. Dann kam ein Sandsturm und wir verirrten uns. Ein kleines Mädchen wurde vom Sturm begraben. Unsere Trinkwasservorräte wurden knapp. Streit brach aus und ein Teil machte kehrt und ging nach Süden, ein anderer lief nach Osten und wir vier zogen weiter nach Norden.
Wir hatten dadurch einen Großteil unserer Habe verloren. Als wir in Tal’dur ankamen, ergriff mein Vater die Gelegenheit und stellte uns alle vier in die Sklaverei über. Dabei sei gesagt: ‚Sklaverei‘ heißt in Tal’dur nicht gleich Knechtschaft bis in alle Ewigkeit. Es ist eher eine Möglichkeit, ohne Lohn, dafür aber mit Kost und Logie zu arbeiten. Ein guter Einstieg, wenn man sich das Bürgerrecht erarbeiten will also. Dabei werden die Sklaven auch nicht einfach irgendwem unterstellt, sondern ihren Fähigkeiten gemäß eingeteilt. Meine Mutter arbeitete als Weberin, mein Bruder wurde Gladiator und mein Vater und ich gingen in die Mine. Oder besser gesagt: Er ging in die Mine und ich bearbeitete, was er herausholte. Ich säuberte die Juwelen und entfernte die groben Steine von den edleren Metallen. Der Mann für den wir arbeiteten, ein Juwelier namens Abban, erkannte nach einigen Jahren mein Talent. Ich war Zwölf als ich in die Mine kam und Siebzehn als ich sie verließ. Dort begann meine Ausbildung. Abban zeigte mir, wie ich eine Fassung zu schmieden hatte, damit das Juwel darin nicht beschädigt, aber dennoch festgehalten wird. Er zeigte mir, wie ich ein Juwel in zwei Dutzend verschiedenen Arten schleifen konnte, um es auch wirklich jedem Kunden recht zu machen. Er zeigte mir, wie nervtötend es ist, eine Kette aus im Durchmesser zwei Millimetern messenden Gliedern herzustellen. – Letzteres vor allem dann, wenn ich für seinen Geschmack zu schnell arbeitete. Und ich zeigte ihm im Gegenzug, dass man seine Ausbildung eben doch in Rekordzeit abschließen konnte. Mit Vierundzwanzig war ich ausgebildeter Juwelier – Und damit ein freier Bürger von Tal’dur. Bis dahin hatte ich allerdings meine ganze Familie verloren.“ Der Nomade verstummte.
„Himmel“, grunzte der Chronist. Er schnipste ein paar Mal vor Kasufs Gesicht. „Hallo! Nicht aufhören. Hier wird es doch gerade spannend.“
Kasuf Augen wurden zu schmalen Schlitzen. Er sog zischend Luft ein, öffnete den Mund… Und atmete ruhig aus, ehe er weitersprach.
„Als ich Achtzehn war stürzte ein Stollen der Mine ein, und mein Vater war verschollen. Mein Bruder drehte völlig durch. Er rannte in die Mine und grub selbst nach ihm. Dabei stürzte auch der restliche Stollen ein. Mein Bruder wurde begraben, während mein Vater wohlbehalten auf der anderen Seite der Berge hinausstapfte.“
Der Chronist schüttelte ungläubig den Kopf.
„Es kommt noch besser:
Als mein Vater davon erfuhr, hat ihn das verrückt gemacht. Er gab sich die Schuld an Allans Tod. Ein paar Tage später fand man ihn tot im Brunnenschacht. Er hatte sich am Brunnenseil erhängt. Meine Mutter hat das in den Wahnsinn getrieben. Habt ihr draußen die alte Frau gesehen, die jeden Passanten anschreit, dass die Götter uns verlassen hätten und die Verderbnis schon morgen hereinbräche? Jeden Tag schreit sie ihre Weltuntergangsbotschaften heraus.
Tja… Das ist sie. Meine Mutter. Sie hat sich nach Vaters Tod dem Alkohol und alchemistischen Drogen ergeben. Mindestens einmal im Monat muss ich sie einsperren lassen.“
„Nicht euer Ernst?“, der Chronist konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.
„Doch. Schon seltsam, wie man vom Pech verfolgt sein kann und doch so hohe Preise erzielt, was?“
Der Chronist schnaubte. „Apropos Pech. Wie ist das eigentlich mit eurem Auge passiert?“
„Ihr wart gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt.
Noch in der Karawane wollte mein Vater mir das Jagen beibringen. Mit Bogen.
Er, Allan und ich gingen also zu den Bergen unweit des Lagers. Dort kreisten einige Raubvögel. Mein Vater meinte, wenn ich einen Vogel im Flug treffen könne, würde ich auch mit Büffeln und Gazellen fertig.
Ich legte einen Pfeil an die Sehne, mein Bruder hob einen kleinen Stein auf. Er warf in Richtung eines nistenden Falken. Er traf. Ich nicht. Der Vogel flog direkt auf mich zu. Während mein Vater und Allan Deckung suchten, versuchte ich verzweifelt den Vogel zu treffen. Allan hatte ihn auf fünfzig Fuß Entfernung mit einem Kieselstein getroffen. Ich traf nicht einmal auf einem Fuß Entfernung mit einem spitzen Pfeil.“
Der Nomade grinste und zuckte mit den Schultern. „Und so gab ich mein Auge an einen Falken, damit ich die Welt von oben sehen kann. Nur hat sich der Falke bisher nicht an die Abmachung gehalten.“
Der Chronist lachte laut auf. „Hah! Das gefällt mir.“
Die beiden sahen sie einen Augenblick an, dann packte der Chronist seine Notizen ein, nahm das Amulett und stand auf. „Habt Dank für eure Geschichte.“
Der Nomade nickte lächelnd und schob ein Drittel der Dukaten wieder über den Tisch. „Und euch für eure Ohren.“
Dankend nahm der Chronist das Geld an und nickte noch einmal zum Abschied.
„Wie darf ich euch eigentlich nennen?“, rief Kasuf dem Mann noch hinterher.
Dieser blieb im Türrahmen stehen, drehte den Kopf und zeigte ein wölfisches Grinsen. „Ich bin mir sicher, wir sehen uns wieder. Fragt dann nochmal.“ Und damit verließ er das Gasthaus und ließ den Stadtrat alleine an seinem Tisch zurück.